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Mondglimmer — CORAZON's Herzschlag I
Published: 2012-03-19 07:44:31 +0000 UTC; Views: 417; Favourites: 5; Downloads: 9
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Description Der Panther trottete von einer Seite seines Käfigs zur anderen (im Vergleich zu der Freiheit eine Streichholzschachtel).
Und auch, wenn das Tier in eine tiefe Resignation und Demotivation gefallen war, verlor dieser edle, onyxfarbene  Körper nichts von seiner Eleganz:
Sehnen, die aufs Äußerste gespannt sich auszutoben träumten,
Muskeln, die jederzeit und bei der kleinsten Gelegenheit dazu bereit waren, ihren Besitzer in für uns unvorstellbare Spektren zu katapultieren,
Zähne und Klauen, die jedem ohne zu zögern das Fleisch von den Knochen reißen würden, als wären diese niemals miteinander verwachsen gewesen...
Eine Erniedrigung, ihn so zu sehen.
Was tat ich überhaupt an einem so gottverlassenen Ort wie diesen Stadtzoo?
Melancholie hing wie eine prall gefüllte Regenwolke über jenem bizarren Abklatsch der Natur, wo  dekadente Menschen, teils fasziniert teils gelangweilt, durch die grauen Gitterstäbe in Augen stierten, die sie einst (vor viel zu langer Zeit) zu fürchten wussten.
Ohne jegliche Emotion.
„Artgerecht" ist nur ein braun gefärbter Begriff, um ihr Gewissen zu beruhigen.
Mein Mitleid wuchs bei diesem schmerzlichen Anblick. Für Tier und Mensch gleichermaßen.
Ich wollte beistehen, Trost spenden, versichern, dass es bald vorbei sein würde...
Doch wer hätte mich verstanden?

Ich hatte längst den Anschluss zu meiner Gruppe verloren.
Aber das machte nichts.
Wir vermissten uns gegenseitig so sehr wie eine Zahnwurzelbehandlung.
Und mehr Energie muss daran nicht verschwendet werden.

Irgendwann blieb er stehen, drehte seinen Kopf und schaute mich direkt an.
Ein seit Urzeiten in meinen Knochen sitzender Schreck ließ mich zusammenfahren.
Es war keine außergewöhnliche Geste des Tieres gewesen, dafür kam sie unerwartet und riss mich genauso gut aus meinen Gedanken wie eine Vuvuzela mit Verstärker.
Mein Herz brauchte Sekunden, um wieder in seine altgewohnte Position zu finden.
Es war Mitte Juli, der Orgasmus des Sommers.
Der Schweiß rann in Strömen, der Asphalt klebte an den Schuhsohlen
und jeder gierte nach der kleinsten Erfrischung, die er kriegen konnte.
Nicht auszudenken, was für ein apokalyptisches Szenario ausbrechen würde, wenn sich plötzlich sämtliche Wasser- und Stromquellen (im wahrsten Sinne) in Luft auflösen würden,
geschweige denn der Eisstand, welcher gerade Höchstumsatz genoss.
Auch ich entknüllte mein frisch erworbenes Wassereis und begann geistesabwesend daran zu lutschen.
Noch kurz überflog ich auf dem  kleinen Täfelchen alles über Herkunft, Lieblingsmenüs und Sexgewohnheiten des schwarzen Riesenkaters bevor ich dann weiter schlenderte,
um einen weiteren langweiligen Tag mit langweiligen Menschen in einer durchorganisierten   Umgebung zu verbringen...
...hätte mich nicht ein winziges Detail den Millibruchteil einer Sekunde innehalten lassen.

Da war etwas in dem Grün seiner stechenden Augen.
Etwas, das mit unserer beschränkten Logik nicht zu begreifen und mehr ein Gefühl war, als dass ich es richtig sah.
Wenn ich zurückdenke, würde ich es als eine Art Fluktuieren beschreiben, das nichts mit Spiegelungen oder dergleichen zu tun hatte
und einen Tick zu stark, um es als Einbildung abtun zu können.
Die Hitze, erklärte ich mir selbst. Die Hitze die Hitze die Hitze... und gleichzeitig wusste ich, dass ich mir etwas vormachen wollte
(worin ich übrigens noch nie besonders gut gewesen war).
Mir wurde unbehaglich zumute.
Ich war drauf und dran mich abzuwenden, meinen Kopf einzuziehen und mich unter das umher staksende Volk zu mischen.
Reiner Primaten-Instinkt (die mutigsten waren sie ja nicht gewesen...).
Aber er hielt mich allein durch seinen Blick fest.
Provokant. Fordernd.
Ich war gezwungen, näher an ihn heran zu treten.
Da war es wieder!
Diesmal schienen sich Formen auf dieser kleinen Fläche seines Augapfels zu bilden.
Als würde man durch einen dichten Nebel gehen, lichtete sich langsam das Bild, wurde deutlicher, dann kurz wieder verhangen, wie bei einer Fotolinse, die sich scharf stellte.
Es klingt vielleicht verrückt, aber ich meinte Blätter erkennen zu können.
Ihr hypnotisches Versteckspiel verbarg etwas vollkommen vergessenes.

„Starr ihn nicht so lange an, Mädchen. Das mag er gar nicht."
Ich sah nur noch, wie mir der Tierpfleger einen altklugen Blick zuwarf, dann seine Mistgabel schwang und zum nächsten Gehege schlurfte.
Ich lachte ihn aus.
(Er trug ein „Freund der Tiere" Shirt mit grinsenden Dschungeltieren, die sich
allesamt liebhatten, wie in einer psychiatrischen Anstalt, nachdem morgens die
„Aufheller" verteilt wurden...)
Bei den Tieren in den umliegenden Käfigen braute sich derweil eine Unruhe zusammen.
Wie ein aufkommender Sturm.
Sie hatten schon lange vor mir gespürt, dass etwas anders war.
Die Affen kreischten wie von Sinnen und rissen an ihren wackeligen Kletterkonstruktionen.
Die Papageien plusterten nervös ihr Gefieder und stießen verzerrte, menschenähnliche Rufe aus, während die kleineren Tierchen unermüdlich ihre Kreise durch die Käfige drehten, ihren eigenen Schwänzchen hinterher.
Der Panther jedoch rührte sich nicht, sodass ich nicht anders konnte, als ihn weiter anzusehen
und mich erneut in seinen Augen zu verlieren, die so viel mehr waren als das.
Sie bargen eine geheime Welt in sich.
Etwas zog mich dann unaufhaltsam hinein.

Ich spürte nicht mehr das Brennen der Pflastersteine, auf denen ich stand
oder die Kinder, die sich quengelnd mit ihren genervten Müttern im Schlepptau an mir vorbei quetschten.
Ja, nicht einmal das Eis in meiner Hand, welches leise vor sich hin tropfte.
Ich empfand nur noch den Wind, der nach Wildnis und Übermut duftete,
vollkommen eingetaucht in das seltsame Portal, gänzlich unwissend, wohin es führen würde (alles, was ich tun konnte, war vertrauen).
Jetzt erkannte ich genau die Unendlichkeiten eines grünen Meeres,
die Wipfel millionenalter Riesen.
Und mitten hindurch wand sich-, einer gigantischen Silberschlange gleich, der ewige Fluss des Lebens, so klar wie der Himmel über ihm:
Amazonas.
Schillernde Paradiesvögel umschwirrten die stolzen Kronen wie Bienen ihren Stock.
Und mit ihren glockenhellen Liedern huldigten sie ihrer Königin.
Königin?
Eine Göttin ist sie, die ihre Seele in solch ein prachtvolles Reich einfließen lässt!
All die wundersamen Wesen und Pflanzen in den Winkeln und Nischen des Dschungels, in allen Farben des Regenbogens leuchtend, atmeten gemeinsam ein und aus - ein und aus und teilten einen gemeinsamen Herzschlag und dieser pulsierte bis in das kleinste Ästchen hinein.
Es machte süchtig.
Ich wollte darin eintauchen!
Inhalieren, was immer ich fassen konnte. Mehr und immer mehr! Bis ich platzte!
Wollte mit all dem verschmelzen, mir Wurzeln wachsen lassen, so tief und weit, dass ich das ganze Land erfassen konnte, welches kein Ende nehmen wollte, welches gar kein Ende hatte...
und für immer ein Teil dieses unglaublichen Ganzen sein.
Mein Körper streckte sich danach aus ohne, dass mein Wille es ihm befehlen musste. Ich war jetzt schon ein Teil des Dschungels, gefangen in seinem Magnetfeld.
Ich wollte sterben und wiedergeboren werden zugleich, um erneut zu wachsen.
Prächtiger als zuvor.
Ich wollte LEBEN!
Denn was bisher gewesen war, verdiente diesen Namen nicht.
Nur noch ein Schritt,
ein einziger Schritt und ich könnte für immer dort sein.
Der betörend fruchtige Blütenduft war bereits so intensiv, dass mir schwindelte.

Und dann begann ich ins Schwerelose zu fallen...
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Comments: 2

NishitokyoGirl [2012-03-19 17:09:12 +0000 UTC]

Wow, ist das geil geschrieben!
"Doltschin" ist meine absolute Lieblingsgeschichte, aber ich hätte mich nie an eine eigene Version oder etwas, das darauf aufbaut, heran gewagt. Umso bewundernswerter, dass du es einfach tust - und es so verdammt gut machst!

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BeauCyphre [2012-03-19 08:27:53 +0000 UTC]

Schon gestern musste ich spontan in The Manhattan Universe etwas loswerden:

Als ich Doltschin - Die anderen Seiten der Wirklichkeit geschrieben habe, wusste ich, dass die Welt der Doltschins etwas Besonderes und die Geschichte etwas Lebendiges ist. Ich ahnte nicht, dass diese Welt so lebendig werden würde, dass sie auch andere Menschen so sehr in ihren Bann ziehen könnte wie hier die wunderbare Eileanora Eibhlin, die ihren ganz eigenen Zugang zum Dschungel findet.

Und obwohl es nur wenige Sätze waren, war es das Entscheidende: Wenn ich mich auf eine Welt einlasse, die ein anderer zuvor bereist hat, muss ich meinen eigenen Zugang finden. Ich darf nicht ausschließlich die gleichen Pfade betreten, sondern muss mir einen neuen Weg durchs Dickicht des Dschungels bahnen, um neue Lichtungen zu betreten und Aussichten zu erschließen, die zuvor unbekannt waren.
In diesem Stadtzoo hast du ein neues Portal gefunden, und wenn eines die Welt der Doltschins ausmacht, dann sind es diese Portale, diese Schnittstellen zwischen den Welten, die das Reisen ermöglichen.
Wenn man eine solche Reise antritt, geht sie sowohl nach außen als auch nach innen, und ich glaube, du hast das von Anfang an gespürt:

"Da war etwas in dem Grün seiner stechenden Augen.
Etwas, das mit unserer beschränkten Logik nicht zu begreifen und mehr ein Gefühl war, als dass ich es richtig sah.
Wenn ich zurückdenke, würde ich es als eine Art Fluktuieren beschreiben, das nichts mit Spiegelungen oder dergleichen zu tun hatte
und einen Tick zu stark, um es als Einbildung abtun zu können.
Die Hitze, erklärte ich mir selbst. Die Hitze die Hitze die Hitze... und gleichzeitig wusste ich, dass ich mir etwas vormachen wollte
(worin ich übrigens noch nie besonders gut gewesen war).
Mir wurde unbehaglich zumute.
Ich war drauf und dran mich abzuwenden, meinen Kopf einzuziehen und mich unter das umher staksende Volk zu mischen.
Reiner Primaten-Instinkt (die mutigsten waren sie ja nicht gewesen...).
Aber er hielt mich allein durch seinen Blick fest.
Provokant. Fordernd.
Ich war gezwungen, näher an ihn heran zu treten.
Da war es wieder!
Diesmal schienen sich Formen auf dieser kleinen Fläche seines Augapfels zu bilden.
Als würde man durch einen dichten Nebel gehen, lichtete sich langsam das Bild, wurde deutlicher, dann kurz wieder verhangen, wie bei einer Fotolinse, die sich scharf stellte.
Es klingt vielleicht verrückt, aber ich meinte Blätter erkennen zu können.
Ihr hypnotisches Versteckspiel verbarg etwas vollkommen vergessenes."


Was die Welt der Doltschins der unseren sehr ähnlich macht und das Reisen überhaupt erst ermöglicht, ist die Tatsache, dass in dieser Welt wie in uns selbst Welten über Welten aufgetürmt sind und dass in uns selbst das liegt, was ich inzwischen The Skeleton Keys nenne: Eine uns angeborene, in uns fest verankerte Magie, die es uns ermöglicht, sämtliche Portale zu öffnen - sofern wir es wagen, dies zu tun und...hindurch zu treten. Denn andere Welten bringen immer andere Bestien hervor, und wirklich vertraut sind wir nur mit denen, denen wir alltäglich begegnen. Aber was für eine Chance, wirklich Neues kennen zu lernen!
Was für eine Chance, die Liebe auf eine völlig neue Art zu erleben, so, dass sie einem nicht nur bildlich, sondern wirklich vollkommen den Atem nimmt!


"Es war vor zehn Tagen gewesen, als ich wie jeden Morgen an der Bushaltestelle stand.
Einer dieser kalten und nebligen Novembertage, die das Blut zähflüssig machen und diese seltsame, kribblige Spannung in der Kopfhaut erzeugen. Ich hatte einen langen und langweiligen Arbeitstag vor mir, als der Bus hielt und ich durch die Hydraulik der sich öffnenden Türen aus meinen Gedanken hochschreckte.
Sie trug einen blauen Regenmantel und ich war sicher, dass sie darunter nackt war. Als sie mich anlächelte, konnte ich nicht das Geringste dagegen tun: Die Tränen schossen mir in die Augen und ich konnte sie durch den Schleier nur noch undeutlich erkennen. Ihre Hand berührte sanft meine Schulter.
"Keoma...", sagte sie leise.
Hier war ich mein ganzes Leben lang Ken, und wenn ich meinem Verstand glauben wollte, war ich nur drei Stunden meines Lebens – drei Stunden von vierzig Jahren – Keoma gewesen.
Das Gefühl, in einen tiefen Schacht zu fallen, während sich die Zeit um mich herum verdichtete und meinen Fall genauso auffing wie sie meine Bewegungen verlangsamte, wurde übermächtig. Doch ich stand da, und ein Wesen aus einem lange zurückliegenden Traum sprach mich mit meinem einzigen Namen an, dem einzigen, der für mich zählte - und beinahe augenblicklich sah ich Dinge, die ich lange vergessen zu haben glaubte, lebendige Bilder eines wilden, ungezähmten Landes.
Mein Blick klärte sich, und ich nahm die ungläubigen Blicke der Passanten wahr, die die seltsame Reaktion des älteren Herren angesichts des jungen Mädchens verstohlen beobachteten. Tania sah aus wie damals, als ich sie das erste Mal auf Island gesehen hatte: Die Zeit war spurlos an ihr vorbeigegangen, während ich wohl um mehr als zwanzig Jahre gealtert sein musste.
"Du erinnerst dich also noch an mich – obwohl du wohl kaum an meine Rückkehr geglaubt hast."
Sie strich mit ihrer Hand durch mein Haar, spielte mit den Fingern in meinem Nacken.
"Du hast dich verändert."
Ich war unfähig, mich zu bewegen oder auch nur irgendetwas zu entgegnen, war wie vom Schlag gerührt. Sie beugte sich dicht zu meinem Ohr und flüsterte:
"Wenn du bereit bist, kommst du, ja?"
Ich spürte ihre Lippen auf meinem Mund, und ihre Zunge drang warm und zart ein wie der flatternde Flügel eines Schmetterlings. Tania löste sich und verschwand in der Menge, bevor ich mich aus meiner Starre befreien konnte. Es war, als wäre sie nie dagewesen.
Doch als ich bereits an meinem Erlebnis zweifeln wollte, konnte ich sie ganz deutlich in mir hören:
"Du kennst den Weg, Keo..."
Alles, was dann geschah, weißt du bereits, Peter.
Nun aber schließt sich der Kreis. Ich fühle es ganz deutlich. Von Anfang an hat es so sein müssen..."


Du bist angekommen in einer unglaublichen, unvergesslichen Welt, und ich wundere mich nicht, dass du es bist, die den Faden aufgenommen hat.

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