Description
Herbst. Heute, als ich am Seeufer entlang wanderte und die orange-roten Blätter unter meinen festen Stiefeln zerdrückte, erinnerte ich mich an jenen Tag. Das fröhliche Zwitschern der Vögel, die zwischen den kahlen Ästen nur mehr halb so gut versteckt waren wie in der Sommerzeit, sowie das junge Eichhörnchen, welches gierig eine Nuss in seine Backen stopfte, erinnerten mich an den Tag, als ich schon einmal an diesem Ufer stand. Der hölzerne Steg, der einige Meter in das Seeinnere herausragt, war zwischen zwei Eichen angelegt worden, sodass man meinen könnte, er sei das Portal in eine andere, vollkommen neue und fremde Welt.
An jenem Tag saß ich dort. Die Schuhe und Socken hatte ich ausgezogen. Es war für einen Herbsttag ungewöhnlich warm. Man sah die Freude in den Gesichtern der vorbeispazierenden Fußgänger. Ich war allein am Ende des Steges, die Füße im Wasser. Sanft ließ ich sie vor und zurück schwingen. Mit jedem Schwung sprangen Tröpfchen aus dem Wasser und hinterließen regelmäßig kreisförmige Wellen an jenen Stellen, an denen sie wieder in den See abtauchten. Es war Nachmittag. Die Sonne war bereits am Untergehen, und doch erfüllte sie die Seeoberfläche mit einem fast göttlichem Glitzern und Schimmern. Als hätte man versucht, einen Pinsel im See auszuwaschen, der mit Licht getränkt gewesen war.
Ich saß da, still schweigend und der Natur lauschend. Vögel, Eichhörnchen. Ein Zwitschern, ein leises Kratzen. Ich war bereits mehrere Stunden zuvor durch die naheliegenden Alleen gegangen, doch erkannte ich schnell die Anziehungskraft des örtlichen Sees und des ruhigen Wassers.
Und dann überkam es mich. Ich beobachtete meine Füße und wie sie unter der Wasseroberfläche verzerrt und versetzt wirkten. Der Wasserstand an dieser Stelle war bereits hoch genug gewesen, dass ich darin nicht hätte stehen können. An jenem Tag hob ich die Füße aus dem Wasser und hinterließ auf den trockenen Holzplanken des Steges nasse Abdrücke. Ich ging so weit zurück, bis ich das Gras des Ufers erneut unter meinen Sohlen fühlen konnte. Es pikste. Meine Schuhe und Socken standen noch an der letzten Holzplanke und zeigten bis zum anderen Ende des Sees. Man hätte fast meinen können, jemand hätte sie dort vergessen. Sie vielleicht auch absichtlich dort gelassen. Als ob jemand beschlossen hätte, in das kühle Wasser zu springen und solange zu schwimmen, bis er gegenüber am Ufer ankommen würde. Dort hätte er sich dann nicht mehr umgedreht und mit dem Überqueren des Gewässers sein altes Leben abgeschlossen und ein neues begonnen. Als wäre dieser Steg zwischen den zwei Eichen wirklich das Portal in eine neue, vollkommen fremde Welt. Und mit diesem Gedanken rannte ich. Das Wasser, welches noch an meinen Füßen hang, spritzte mir ins Gesicht. Die Fußabdrücke, die ich nun auf dem Holzuntergrund hinterließ, waren nicht mehr als verschwommene Kleckse. Ich rannte, bis der Boden unter mir verschwand und ich mit einem Sprung im See landete. Im Herbst.
Und dann schwamm ich. Meine Schuhe und Socken ließ ich zurück, als hätte jemand beschlossen, ein neues Leben zu beginnen.